Tierhaltung: Soll man Zoos verbieten? (2024)

Löwen oder Elefanten in Gefangenschaft zu halten, sei nicht mehr zeitgemäß, sagt die Aktivistin Laura Zodrow. Der Zoodirektor Jörg Junhold hält dagegen: Was wir tun, ist zum Wohl der Tierarten.

Interview: Stefan Schirmer und Merlind Theile

Aus der ZEIT Nr.14/2024

210 Kommentare
Tierhaltung: Soll man Zoos verbieten? (1)

DIE ZEIT: Zoos sind beliebt: Der Zoo Berlin verzeichnete im vergangenen Jahr einen Besucherrekord. Sie, Frau Zodrow, wollen Tierparks abschaffen. Warum?

Laura Zodrow: Nach allem, was wir über die Gefühls- und Gedankenwelt von Tieren gelernt haben, müssen wir uns eingestehen: Der Zoo, wie wir ihn seit 150 Jahren kennen, ist nicht mehr zeitgemäß. In freier Wildbahn sind Tiere Teil eines komplexen Ökosystems. Elefanten etwa legen bei der Nahrungssuche täglich bis zu 13 Kilometer zurück. Im Zoo werden sie ein Leben lang auf der Fläche eines Drittels eines Fußballfeldes gehalten, in einer durch und durch künstlichen Umgebung, fremdbestimmt vom Menschen. Dadurch entwickeln viele Tiere im Zoo Krankheiten oder Verhaltensstörungen.

Jörg Junhold: Einspruch! Um beim Thema Fläche anzufangen: Fläche ist nicht alles. Es kommt auf die Qualität der Tierhaltung an, und die gewährleisten unsere vielen Pfleger, Biologen und Tierärzte. Dafür sorge ich im Leipziger Zoo als Direktor seit mehr als 25 Jahren. Ich behaupte sogar: Zoos haben die am besten öffentlich kontrollierte Tierhaltung, die es in menschlicher Obhut gibt.

Zodrow: Natürlich ist die Fläche ein Problem! Ein Eisbär hat ein natürliches Revier von bis zu 150.000 Quadratkilometern – im Zoo gerade einmal 400 Quadratmeter.

Junhold: Warum legt ein Eisbär oder Elefant so viele Kilometer zurück? Weil er Nahrung sucht. Bei uns hat er Vollverpflegung. Sie, Frau Zodrow, stellen den Zoos eine romantische Welt gegenüber, die es aber nicht mehr gibt: eine heile Natur ohne menschliche Eingriffe. Die natürlichen Lebensräume schwinden weltweit. Außerdem: Unsere Tiere sind fast alle in den Zoo hineingeboren und haben gelernt, damit umzugehen. Viele leben länger als ihre Artgenossen in der Natur. Unsere Tiere leiden nicht, sonst würden uns die Pfleger als Erste an die Gurgel springen. Unseren Tieren geht es gut. Natürlich gibt es immer Ausnahmen. Mit denen müssen wir uns beschäftigen. Tiergärtnerei ist komplex.

Zodrow: Wahr ist aber auch: Selbst in den bestgeführten Zoos gibt es Probleme, zum Beispiel dass Tiere versuchen auszubrechen und erschossen werden müssen. Das bedeutet nicht, dass sich die Tierpfleger keine Mühe geben. Es zeigt, dass man bei der Wildtierhaltung in einer Innenstadt rasch an Grenzen stößt. Man kann dort einfach nicht auf kleiner Fläche das Sozialverhalten einer Wildtierherde simulieren.

ZEIT: Kamen Fluchtversuche von Tieren auch schon bei Ihnen vor, Herr Junhold?

Junhold: Ja, aber "Flucht" würde ich das nicht nennen. So ein Ausbruch ist das natürliche Austesten der Grenzen von Lebensräumen. Und die Folge dessen, dass wir Tiere eben nicht mehr wie vor 150 Jahren hinter Gitterstäben halten wollen, sondern so weitläufig es geht, in Landschaften mit möglichst unscheinbaren Grenzen. Eines von vielen Beispielen dafür, dass Zoos, anders, als Sie das sagen, heute nicht so sind wie in ihren ersten Jahren.

Mancher Grasbüschel ist in Wahrheit aus Elektrodraht.

Zodrow: Es stimmt, dass Zoos versuchen, die Natur nachzubilden, durchaus mit schönen Ergebnissen – für die Besucher. Für sie gibt es Geräusche vom Band, auf den Wegen liegt Rindenmulch. Alles wirkt immer grüner, und sei es auch nur durch angemalte Flächen. Dagegen hat sich in den Gehegen zu wenig verändert. Mancher Grasbüschel ist in Wahrheit aus Elektrodraht, der die Tiere am Ausbrechen hindern soll.

ZEIT: Heißt das, die meisten Investitionen werden nicht darauf verwendet, dass die Tiere sich wohler fühlen im Zoo, sondern die Menschen?

Junhold: Es geht um beides! Zoos sind auch Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Aber wenn wir Anlagen planen, gibt das Tierwohl vor, wie viel Platz für die Menschen übrig ist, nicht umgekehrt. Die Zoos, die in den großen Verbänden organisiert sind, arbeiten wissenschaftsbasiert. Beim Tierwohl sind wir nicht Bremser, sondern Schrittmacher für neue Erkenntnisse. Dadurch wissen wir heute über Menschenaffen, dass sie Rückzugsräume brauchen, um Gruppen zu bilden, und wir diese ermöglichen müssen. Auch wenn das hohe Investitionen erfordert.

Zodrow: Es werden aber nur 57 der 800 deutschen Zoos wissenschaftlich geführt. Und Sie können noch so viele Erkenntnisse sammeln – die Platznot in den Gehegen ist schlecht für das Sozialverhalten der Tiere. Bei Elefanten etwa haben Sie Mühe, Inzucht zu verhindern, und massive Probleme mit Jungbullen in der Gruppe. Die Tierschutzverbände sind sich schon lange einig, dass Elefanten zu den Arten gehören, deren Haltung in Zoos schnellstens enden sollte.

Tierhaltung: Soll man Zoos verbieten? (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Corie Satterfield

Last Updated:

Views: 6140

Rating: 4.1 / 5 (62 voted)

Reviews: 93% of readers found this page helpful

Author information

Name: Corie Satterfield

Birthday: 1992-08-19

Address: 850 Benjamin Bridge, Dickinsonchester, CO 68572-0542

Phone: +26813599986666

Job: Sales Manager

Hobby: Table tennis, Soapmaking, Flower arranging, amateur radio, Rock climbing, scrapbook, Horseback riding

Introduction: My name is Corie Satterfield, I am a fancy, perfect, spotless, quaint, fantastic, funny, lucky person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.